100 Tage Europaparlament
Die ersten Wochen waren mit den berühmten W-Fragen verbunden. Wo ist was und wer zu finden? Und warum gibt es was nicht? Zum Beispiel, wieso kann man die italienische Tastatur meines Rechners nicht durch eine deutsche austauschen?
Ich habe bei solchen Fragen mir angewöhnt, die Antworten selbst zu geben, indem ich zum Beispiel mir aus Dresden eine Tastatur mitnehme. Nachdem ich mein Büro mit Plakaten aus dem Landtagswahlkampf und einem leidenschaftlich kitschigen Sachsenkalender ausstaffiert hatte, ging es mir insgesamt besser. Einer meiner sächsischen CDU-Kollegen erklärte mir beim Pressempfang der ARD in Strassburg ähnliches, als er in seinem Büro einen Schwippbogen aufstellte. Apropos Strassburg. Als ich das erste Mal das Riesenparlament sah, war ich ziemlich erschrocken. Mitten unter wunderschönen Villen im kleinstädtischen Flair schießt sich ein gläserner Riese, das Parlament, hoch, im Grunde eine Zumutung für die Anwohnenden. Mir kommt der monatliche Besuch von Strassburg vor, als fiele ein ganzer Hofstaat in das mittelalterliche Städtchen ein, sogar die Bedienung in den Bistros und Kneipen und die Verwaltung kommen aus Belgien und Luxemburg. Von uns ganz abgesehen.
Viel Zeit, um sich örtlich einzugewöhnen hatten wir aber nicht. Ab in die Ausschüsse! Im Innenausschuss vertrete ich die Fraktion gemeinsam mit einem portugiesischen und niederländischen Kollegen. Fragen wie Migration und Asylpolitik spielen dort eine Riesenrolle, ebenso Datenschutz, das Schengeninformationssystem, das zu unserem Ärger weiter ausgebaut werden soll. Der Innenausschuss tagt mindestens 4 bis 5 Wochentage im Monat. Neben dem Innenausschuss bin ich Stellvertreterin im Regionalausschuss, der für Sachsen als Region von Bedeutung ist. Wir haben vor, uns als Dienstleistende für Städte, Gemeinden, aber auch Projekte zu regionalpolitischen Fragen zu profilieren, werden sächsische Fragen in das Europaparlament unmittelbar hineintragen. Neben diesen beiden Hauptausschüssen bin ich auch Mitglied des Frauenausschusses, der übrigens von einer Linken, unserer schwedischen Genossin, geleitet wird. Neben den Fachausschüssen gibt es Länderdelegationen, die dazu dienen, Kontakte zu den jeweiligen nationalen Parlamenten, aber auch anderen Organisationen, wie zum Beispiel Menschenrechtsorganisationen herzustellen. Ich bin das einzige Vollmitglied der GUENGL in der Afghanistan- Delegation, Stellvertretende Vorsitzende der Iran-Delegation und Stellvertreterin in der Türkei-Delegation. Ich habe vor, zur Afghanistan-Länderdelegation ein deutsch-afghanisches Forum einzurichten, das sich u.a. mit der Frage beschäftigt: Wie kann der Ausstieg aus dem Afghanistankrieg erfolgen? und zugleich Menschenrechtsfragen thematisiert.
Die erste größere Aktion, die ich als Europaabgeordnete angegangen bin, sind die Probleme des notwendigen europaweiten Schutzes der Roma. Dazu haben wir am 2. Oktober 09 eine Anhörung in Köln, wo auch einige Interessenvereinigungen der Roma ihren Sitz haben, durchgeführt und festgestellt, dass die Diskriminierung von Roma besonders in Osteuropa selbstverständlicher Teil sogar staatlicher Politik ist. Vertreter u.a. auch aus Rumänien, Ungarn, der Slowakei berichteten beeindruckend über die Situation ihrer Landsleute. Im Europäischen Parlament habe ich danach den Kontakt zu Abgeordneten gesucht, die sich ähnlich engagieren. Geplant ist jetzt die Einrichtung einer Intergroup zu explizit diesem Thema. Im Dezember will ich in den Kosovo fahren, um mich dort mit Roma-Vertreter/innen über die begonnenen Abschiebungen von Roma aus Deutschland in den Kosovo zu verständigen. Ich will Argumente sammeln, um deutlich zu machen, dass diese Abschiebungen für viele dieser Menschen eine Katastrophe sind. Sie werden ins Nichts abgeschoben, da zum Beispiel viele Roma-Dörfer niedergebrannt und gar nicht mehr existent sind.
Generell wird Flüchtlings- und Migrationspolitik in meiner Arbeit einen großen Raum einnehmen. Wir werden im Dezember zu diesem Thema eine große Konferenz in Palermo durchführen und uns mit der Abschottungspolitik der EU beschäftigen. Ab Dezember beginnen wir mit dem Besuch von Flüchtlingslagern in Europa.
Was mir wichtig ist, das ist eine nach Sachsen hin transparente Politik all der Dinge, die im Europaparlament geschehen, soweit es irgend möglich ist. Ich werde mich außerdem überall dort in Sachsen auch in Bürogemeinschaften engagieren, wo europapolitische Fragen eine besondere Rolle spielen. Neben Dresden, meinen Hauptwahlkreisbüro, werde ich in Leipzig im Linxxnet, in Chemnitz im Rothaus und vor allem in Bautzen mich verorten. Letzteres liegt mir deshalb am Herzen, weil ich gemeinsam mit einem tschechischen Europaabgeordneten und mit Heiko Kosel dort ein Europabüro aufmachen möchte, das Kontakte nach Tschechien und nach Polen auf- und ausbaut. Zu konkreten Themen soll grenzüberschreitend gearbeitet werden. Außerdem wollen wir den Jugendaustausch zwischen polnischen, tschechischen und deutschen Jugendlichen fördern. Nicht zuletzt möchte ich auch mit den Genoss/innen aus Sebnitz zur Rechtsextremismusfrage zusammenarbeiten, da ich in Brüssel gemeinsam mit Gabi Zimmer dieses Thema für die Fraktion angeregt habe.
Das ist ein ganzes Stück Arbeit, aber ich freue mich darauf und werde regelmäßig darüber berichten. Denn Brüssel ist gar nicht so weit.