Dr. Cornelia Ernst im Rahmen der Studientage der Fraktion GUE/ NGL, 12. – 14.10.2010
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
ich bin Vize-Präsidentin der Iran-Delegation. Diese Delegation hat zweimal versucht, zu Gesprächen in den Iran zu reisen. Beim ersten Mal wurden wir kurz vor Abflug vom iranischen Präsidenten selbst ausgeladen. Jetzt hat die Konferenz der Präsidenten beschlossen, dass die Delegation nur unter bestimmten Bedingungen, Nichtanwendung der Todesstrafe, fahren darf und damit de facto jeglichen interparlamentarischen Dialog vor Ort im Iran verhindert. Das halte ich für falsch. Es sei denn, generell werden Konditionierungen bei interparlamentarischen Delegationen vorgenommen, dann darf auch kein EU-Abgeordneter in die USA reisen, weil auch dort die von uns Linken leidenschaftlich bekämpfte Todesstrafe angewandt wird.
Der Dialog mit dem Iran, den verschiedensten innenpolitischen Kräften ist aber von zentraler Bedeutung und gerade Parlamentarier können der Schlüssel sein, Isolation aufzubrechen, durch kontinuierlichen Dialog mit ihren Kollegen und der Zivilgesellschaft.
Kein anderes Land hat in den vergangenen Jahrzehnten für so viele Schlagzeilen gesorgt wie der Iran.
Vermeintlich sind das iranische Atomprogramm, die Drohungen gegen Israel, die eklatante Verletzung demokratischer und Menschenrechte der Grund dafür. Tatsächlich geht es um die politisch-ökonomische Umgestaltung der Region des Nahen und Mittleren Ostens. Das bevölkerungsreichste Land der Region mit seinem enormen wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Potential, den drittgrößten Erdöl- und die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Westliche Politologen und Politiker haben sich selten die Mühe gemacht, andere Staaten und Kulturen wirklich zu begreifen. Auch wir, die Linke, gehen häufig mit wenig Kenntnis an die Bewertung internationaler Beziehungen und Konflikte. Ich schließe mich in diese Kritik explizit ein. Wir brauchen eine sachliche Debatte zu diesen Fragen. Ich danke ausdrücklich den zypriotischen Genossen, dass das Thema Iran auf die Tagesordnung der Studientage gesetzt haben.
Iran ist ein Land voller Widersprüche: Eine Theokratie, die die Gesellschaft bis ins Detail nach der Scharia gestalten will und zugleich eine der säkularsten Bevölkerungen der Region. Es herrschen autoritäre politische Verhältnisse, die jeden Protest kriminalisieren. Und zugleich ist ein Charakteristikum der iranischen Revolution die Beteiligung von Millionen Menschen an Demonstrationen, Streiks, spontanen Aktionen und schließlich am zweitägigen Aufstand, der zum Sturz des Schah-Regimes führte. Iran ist ein verfassungsrechtlich garantierter Vielvölkerstaat.
Die Verfassung des Irans verpflichtet den Staat, für „soziale Sicherheit aller Menschen hinsichtlich Ruhestand, Arbeitslosigkeit, Altenstand, Arbeitsunfähigkeit, Obdachlosigkeit“ sowie für „unentgeltliche Bildungs- und Erziehungsmittel für die gesamt Nation“ zu sorgen.(Artikel 29, Absatz 1 und 2) zu den Grundlagen der „Wirtschaft der islamischen Republik“ Zählen die „Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse aller nach Wohnen, Bildung und Erziehung, Schaffung der notwendigen Bedingungen zur Gründung einer Familie (Art.43, abs.1). Ein Ziel der Wirtschaft ist die Vollbeschäftigung (Art. 43, Abs. 2).
Aber die Diskrepanz zur Realität könnte kaum größer sein: Die soziale Not hat sich im Vergleich zur Zeit der Schahregentschaft spürbar verbreitert. Ein achtjähriger Krieg, die drastische Senkung des Wirtschaftswachstums, Korruption, soziale Polarisierung der Gesellschaft sowie enorme Zunahme der Bevölkerungszahl führten zur Verschlechterung des Lebensstandards von Millionen von Menschen. Massenarbeitslosigkeit, Kinderarbeit, Drogenkonsum, Obdachlosigkeit, soziale Diskriminierung und Prostitution wegen Armut sind weit verbreitet.
Ich möchte zu zwei Fragen etwas sagen, die in unserer Iran-Delegation eine große Rolle spielen.
1. Der Konflikt um das iranische Atomprogramm
Dieser Konflikt kommt einer Achterbahn gleich. Mal scheint ein Krieg gegen den Iran kurz bevor zu stehen, mal bahnt sich ein Kompromiss an. Das iranische Atomprogramm hat seine Anfänge in der Zeit des mit den USA verbündeten Schah-Regimes. Mitte der 70er Jahre verpflichteten sich die deutsche Kraftwerkunion (KWU) und die französische Firma Framatome, Reaktoren in Buschehr bzw. Darkhovin zu bauen. Nach politischen Spannungen mit den USA und schließlich infolge der 444 andauernden Besetzung der US-Botschaft verhängten die USA ein Embargo gegen den Iran, das auch die Lieferung von Nukleartechnologie umfasste. Während des iranisch-irakischen Krieges 1980-1988 wurde der Atomreaktor in Busher schwer beschädigt war. 1987 unterzeichnete Iran einen Vertrag mit Pakistan über nukleare Zusammenarbeit nach dem 39 iranische Wissenschaftler und Techniker in pakistanischen Nuklearanlagen weitergebildet wurden. Schließlich schlossen Russland und Iran im Januar 1995 einen Vertrag über nukleare Zusammenarbeit, in dem sich Russland verpflichtete, iranische Experten weiterzubilden und den Reaktor in Buschehr fertig zu stellen. Gleichzeitig startete Iran breit angelegte Aktivitäten, um auf dem Schwarzmarkt Know-How und Technologie für weitere Atomanlagen zu kaufen. Nach dem 11. September wurde der Iran von der Bush-Administration zum Bestandteil der „Achse des Bösen“. Durch Berichte des israelischen Geheimdienstes sowie der oppositionellen Volksmudjahedin wurde die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) im Jahre 2002 auf das iranische Atomprogramm aufmerksam.
Iran wurde nicht nur von den USA, sondern auch von der EU-Troika (Großbritannien, Frankreich, Deutschland), Russland und China unter Druck gesetzt, mit der IAEO voll zusammenzuarbeiten und das Zusatzprotokoll zum NPT zu unterzeichnen. Im Dezember 2003 wurde das Zusatzprotokoll ohne Ratifizierung durch das Islamische Parlament de facto eingeführt, womit den IAEO-Inspekteuren der Zugang zu allen iranischen Nuklearanlagen gewährt wurde. Sie installierten in den Anlagen Kameras und Iran verpflichtete sich 2004 für die Dauer der Verhandlungen mit der EU-Troika die Urananreicherung zu suspendieren. Bereits vor der Wahl von Ahmadinedschad kündigte Iran die Errichtung von zwanzig neuen Atomkraftwerken an, deren Brennstoffe überwiegend im Lande hergestellt werden sollten.
Die Kriege im Irak und Afghanistan, die immer neuen Forderungen der EU-Troika führten letztlich dazu, dass im Iran die Befürworter einer Verhandlungslösung an Zustimmung verloren und die Hardliner einen Kurswechsel forderten. Im Februar 2010 begann der Iran, in seiner Pilotanlage zur Urananreicherung in Natanz Uran auf 19,75% anzureichern.
Inzwischen haben sich weitere internationale Akteure in den Atomkonflikt eingeschaltet. Nach Gesprächen zwischen den Präsidenten Irans und Brasiliens sowie dem Ministerpräsidenten der Türkei legten diese drei Staaten am 17. Mai 2010 einen Plan zur Lösung des Problems der vom Iran benötigten Brennstäbe für den Teheraner Forschungsreaktor vor.
Obwohl es Brasilien und der Türkei gelungen ist, den Iran zu bewegen, einer von den USA geforderten Zwischenlagerung seines Urans in der Türkei zuzustimmen, hat die US-Administration das Abkommen nicht begrüßt und sich nicht sofort zu neuen Verhandlungen bereiterklärt. Stattdessen hat sie, wie ihre westlichen Verbündeten, kritisiert, dass der Iran nicht seine Urananreicherung unverzüglich einstellt.
Im Juni 2010 setzten die USA eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrates durch, die neue Strafmaßnahmen gegen den Iran enthalten, wie das Verbot aller Aktivitäten in Zusammenhang mit ballistischen Raketen, die als Atomwaffenträger dienen können. Der Iran darf nicht in die Uran-Förderung investieren und verschiedene Kategorien schwerer Waffen kaufen. Die Sanktionen richten sich erstmals auch gezielt gegen die iranischen Revolutionsgarden, die mittlerweile zum größten Unternehmer des Irans geworden ist. Mitglieder der Truppe und Angestellte der von ihnen geführten Firmen wurden mit einem Reiseverbot belegt. Hinzu kommen Kontensperrungen und Handelsbeschränkungen, wobei die Belieferung mit Öl und Ölprodukten mit Rücksicht auf China äußerst begrenzt bleibt. Die EU ging noch einen Schritt weiter. Die von den EU-Außenministern beschlossenen Sanktionen verbieten außerdem EU-Investitionen in der Gas- und Ölindustrie. Darüber hinaus soll der Zugang zum Kapitalmarkt und des Kapitaltransfers über 10.000 Euro kontrolliert werden und die Einschränkung des Exports von Schlüsselgütern erfolgen.
Und damit sind wir bei einem Thema, über das wir dringend reden müssen. Wie steht unsere Fraktion zu Sanktionen? Ich persönlich halte sie für kontraproduktiv und, die Geschichte des Irans beweist es, letztlich wirkungslos. Abgesehen davon, dass EU-Sanktionen weltweit missachtet werden, dürfte es sehr schwer sein, angesichts der strategischen Position des Iran sowie seiner intensiven und wachsenden Handelskontakte im Nahen Osten, mit Pakistan, Indien, Malaysia, China und Russland eine wirtschaftliche Isolierung herbeizuführen.
Außerdem können Sanktionen auch die Preise im Iran anheizen, so dass die Bevölkerung Hauptleid tragend ist. Die Teheraner Regierung nutzt m.E. Sanktionen dankbar, um ihre Position unter Hinweis auf die äußere Bedrohung zu stärken und den Spielraum der Opposition einzuschränken.
Unsere Fraktion hat sich von Anfang an gegen Sanktionen gegen den Iran ausgesprochen, wenn auch ohne Erfolg. Vielleicht sollten wir im nächsten Jahr als Fraktion ein Hearing zu diesem Thema veranstalten, um unseren Argumenten Gehör zu verschaffen.
Ein Letztes zum Thema Atomwaffen: Die Erfahrung lehrt, dass die bestehenden Atomwaffenmächte ihr Engagement gegen eine atomare Bewaffnung des Iran nicht uneigennützig vorantreiben, sondern, um ihr Atomwaffenmonopol auf ewig zu bewahren.
Noch immer sind rund 22.4000 Sprengköpfe weltweit stationiert. Es gibt zwar ein Wetterleuchten durch den neuen START-Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen Russlands und der USA, eine modifizierte US-Nuklearstrategie, die das potenzielle Einsatzspektrum für Kernwaffen einschränkt und ein erstes Gipfeltreffen über Sicherheit im Nuklearzeitalter. Aber wir sollten als Linke überlegen, wie wir in den kommenden Jahren im europäischen Parlament eine kontinuierliche Arbeit zur Frage der nuklearen Abrüstung anstoßen können und das auch zur stärkeren Ausprägung des Profils unserer Fraktion als konsequente Friedensaktivisten nutzen.
2. Die Oppositions-, Demokratie- Protestbewegung
Sich gegen kontraproduktive Sanktionen gegen den Iran einsetzen bedeutet ausdrücklich nicht, die entschiedene Kritik an der massenhaften Verletzung der Menschenrechte im Iran an Frauen, an Homosexuellen, Andersdenkenden auch nur im Mindesten einschränken. Wir unterstützen leidenschaftlich den Kampf um soziale und ökonomische Rechte sowie um bürgerliche Freiheitsrechte. Wir sollten uns nicht davor erschrecken, wenn diese Debatte von dem Interesse der USA und ihrer Verbündeten bestimmt sind, einen „Regimewechsel“ im Iran zu befördern. Wieso sollten wir Linken uns vor dem Wort „Regimechange“ scheuen? Die Linke ist die konsequenteste Verfechterin von „Regimewechsel“. Wir stellen den Kapitalismus in unseren Ländern konsequent in Frage und wollen eine andere Gesellschaft. Das ist „Regimewechsel“. Aber eines ist auch klar. Ein Export von Freiheit und Demokratie ist nicht möglich, den Wechsel müssen die Iraner selbst vornehmen.
Ich plädiere dringend dafür, dass wir uns mit der Differenziertheit der sich gegenüber stehenden Lager im Iran auseinandersetzen. Weder die Konservativen sind homogen, noch die Reformer, die oft unter dem Begriff der Demokratiebewegung subsumiert werden. Innerhalb der Konservativen gibt es unterschiedliche Fraktionen, auch einen Reformflügel, der pragmatisch orientiert ist. Unter der Protestbewegung gibt es viele, die anfangs nur gegen das Wahlergebnis protestierten, andere wollen, dass die Vetternwirtschaft aufhört, wieder andere kämpfen gegen die Frauenentrechtung. Viele junge Leute wollen einfach so leben, wie ihre Altersgenossen in Westeuropa und es gibt Oppositionelle, die das gegenwärtige Regime im Iran aus guten Gründen ganz abschaffen wollen. Die Ereignisse bei und nach den letzten Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 haben deutlich gemacht, dass ein Teil der Bevölkerung in Form der „grünen Opposition“ für eine Demokratisierung des Landes eintritt, wobei der überwiegende Teil dieser Opposition das System der „Islamischen Republik“ nicht in Frage stellt. Diese Demokratie- bzw. Reformbewegung ist im Unterschied zur iranischen Revolution keine strukturierte Bewegung mit einer wie auch immer gearteten Führung. Eine besondere Rolle spielen aber junge Menschen und Frauen. Viele nutzen das Internet als Medium, sind Akademiker/innen (immerhin sind 60% aller Studierenden Frauen). Dass diese beiden Personengruppen eine herausragende Rolle in der Reformbewegung spielen, hängt damit zusammen, dass sie Zielscheibe der islamistischen Machthaber wurden. Für mich ist spannend, dass viele Frauenaktivistinnen aus dem islamisch geprägten Lager kommen. Manche sprechen von sich selbst als islamische Feministinnen. Sie kämpfen mit islamischen Argumenten für Gleichberechtigung. Die Ursache für frauenfeindliche Gesetze sehen sie nicht im Islam, sondern an den Männern, die den Koran so interpretieren. So verwundert es nicht, dass diese Frauen eine Kampagne starteten „Eine Million Unterschriften“ mit dem Ziel konkreter rechtlicher Verbesserungen für Frauen zu erreichen. Auf der Grundlage eines Gesetzentwurfes soll im Anschluss an die Unterschriftensammlung im Parlament ein Frauengleichberechtigungsgesetz mit zwei Dritteln beschlossen werden und ein Volksentscheid endgültig darüber entscheiden. Auch andere Gruppen von Frauen kämpfen für die Abschaffung der Frauendiskriminierung, Intellektuelle, Frauen der Mittelschicht, politisch Linke. Wichtige Säulen des Widerstandes im Iran sind auch die regierungsunabhängigen Organisationen, Künstler, Schriftsteller, Filmemacher, Musiker. Das Internet ist für viele DAS Kommunikationszentrum und der manchmal einzige freie Raum geworden. Der Erfolg dieser Bewegung wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, Freiheits- und soziale Bewegung zusammenzuführen.
Als Linke gilt unser Interesse nicht den Herrschenden, sondern der Bevölkerung. Wir müssen daher im Europäischen Parlament verdeutlichen, dass wir jede militärische Lösung von Konflikten auch im Falle des Iran ablehnen. Wir sollten uns für einen konsequenten Paradigmenwechsel in der Politik der USA und der EU gegenüber Iran einsetzen, statt Konfrontation und Isolation muss eine Politik der Entspannung eingeleitet werden. Nur so kann auch Einfluss gewonnen werden, damit die massenhaften Menschenrechtsverletzungen abgeschafft werden. Unsere Forderungen sollten sein:
– Beendigung der Sanktionspolitik
– Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen der EU und Iran
– Wiederaufnahme des interparlamentarischen Dialoges, insbesondere zum Menschenrechtsdialog
– Gegenseitige Nichtangriffsgarantien in Bezug auf USA und Israel
– Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Iran
– Aushandlung eines Vertrages über die garantierte Bereitstellung von Kernmaterial für die friedliche Nutzung der Kernenergie
– Initiativen der EU und der USA zur konsequenten Umsetzung des Schlussdokuments der letzten NPT- Überprüfungskonferenz, einschließlich der Aufnahme von Verhandlungen über eine von Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten
– Ausbau der zivilen, ökonomischen Zusammenarbeit insbesondere zur Armutsbekämpfung