»Dosta!« – »genug!« Unter dem Motto in Romani fand am vergangenen Samstag die erste »Roma Pride« in mehreren europäischen Städten statt.Beitrag von Charlotte Noblet im Neuen Deutschland vom 7.10.2011
»Die Zivilgesellschaft soll reagieren und die Diskriminierung gegen Roma stoppen«, erklärte Benjamin Abtan vom European Grassroots Antiracist Movement. Allein in Lyon waren nach Polizeiangaben 900 Menschen auf der Straße und haben gegen die Abschiebung von 650 Roma aus der Stadt protestiert.
»Dosta!« sagte auch der Bürgermeister von Straßburg Ende September: »Unser Bürgermeistergipfel zum Thema Roma findet leider in einem merkwürdigen französischen Kontext statt«, erklärte Roland Reis vor 300 Bürgermeistern und Roma-Vertretern, die zusammen gegenseitiges Vertrauen an der Basis aufbauen wollen. »Es ist nicht mal einen Monat her, dass ein Lager von 150 Bulgaren und Rumänen in Saint-Denis, in der Pariser Region, aufgelöst wurde. Dafür wurde der Polizei sogar eine Tramway der RATP zur Verfügung gestellt. Als Volksvertreter und als Mensch bin ich über diese Operation wirklich schockiert. Knapp zwei Wochen darauf hat der Innenminister Frankreichs mit seinem Programm gegen junge rumänische Delinquenten die Roma erneut pauschal diskreditiert. Diese Diskriminierung einer Minderheit der Bevölkerung ist eine Zumutung. Ich sage es laut und deutlich: Dosta!«
So sieht es aus, im sogenannten Mutterland der Menschenrechte, ein Jahr nach der Rede von Nicolas Sarkozy in Grenoble. Ende Juli 2010 verknüpfte der französische Präsident das Thema Innere Sicherheit mit rassistischen Angriffen auf Roma und Immigranten und bat den damaligen Innenminister, den »wilden Ansiedlungen von Roma-Lagern ein Ende zu setzen«.
»Roma und Fahrende wurden von Regierungsvertretern stigmatisiert«, steht im Report 2011 von Amnesty International über Frankreich. Diesen Vorwurf bestätigte der französische Innenminister Claude Guéant Mitte September: 80 Prozent der in Paris verübten Diebstähle seien auf »rumänische Minderjährige« zurückzuführen, Frankreich werde diese »Verbrecherringe« mit seinem neuen Einwanderungsgesetz bekämpfen und bis Jahresende weitere »Rückreisen« einleiten. »Es ist verboten, ein Kind in Frankreich auszuweisen«, entrüstet sich Damien Nantes, Direktor der Hilfsorganisation für ausländische Minderjährige in Schwierigkeiten. »Nach dem Gesetz sind wiederum die Behörden dazu verpflichtet, Minderjährige in Schwierigkeiten zu schützen.«
Etwa 15 000 Roma leben in Frankreich. Laut dem französischen Amt für Einwanderung und Integration (OFII) bleibt diese Zahl seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2007 stabil, genau wie die von »wilden« Roma-Siedlungen. Makaber: Die Roma-Politik in Frankreich ist nicht nur gesetzwidrig und verstößt gegen die EU-Freizügigkeitsregelung, sie erreicht noch nicht einmal ihre menschenfeindlichen Ziele der Verdrängung der Minderheit.
Die Politik in Frankreich verhindert jegliche Integration der Roma in die Gesellschaft, den Zugang zu Gesundheitsversorgung sowie den Schulbesuch ihrer Kinder. Außerdem ist der französische Arbeitsmarkt für die Bürger der neuen EU-Mitgliedsstaaten nur teilweise offen, was bei den nicht-französischen Roma oft zu prekären Arbeits- und Lebensbedingungen führt.
Es ist wünschenswert, dass Frankreich erneut wegen seiner Roma-Politik von der EU-Kommission ermahnt wird. Schließlich sind die EU-Länder aufgefordert, bis Jahresende nationale Strategien zur Integration der Roma zu entwickeln. Bei den Leitlinien steht u. a. nicht diskriminierender Zugang zu Wohnraum und Arbeitsmarkt vorn an. Spätestens da wird Frankreich Stellung beziehen müssen.
Die aus Frankreich stammende Autorin arbeitet in Berlin unter anderem für die französische Zeitung »l’Humanité«.