„Wir erwarten, dass richtig etwas passiert“
Bericht vom Bürgerforum der LINKEN zum Thema Grenzkriminalität in Hertigswalde, an der Grenze zur Tschechischen Republik am 31. Mai 13
Sie habe ein recht großes Sicherheitsgefühl gehabt, sagt die gebürtige Sebnitzerin Frau Fritzsche. Bis eben zu jenem Tag, als ihre Familie Opfer eines grenzüberschreitenden Diebstahls wurde. Erst danach hätte sie sich mit dem Thema befasst. Am liebsten wäre ihr „wenn wir wieder so viele Polizisten hätten wie vor der Grenzöffnung“ sagt sie. Und auch die Waldwege sollten wieder so gesichert werden wie früher, damit sie nicht mehr für Schmuggel genutzt werden können. Herr Klein ist ebenfalls von Grenzkriminalität betroffen. Seiner Gärtnerei gehörte einer der drei Multicars, die in einer einzigen Nacht gestohlen wurden. Solche Verluste gehen an die Existenz. Sowohl Frau Fritzsche als auch Herr Klein erwarten als Betroffene, „dass richtig etwas passiert“. Eine Petition von Sebnitzer Bürgern an den Sächsischen Landtag hatte für Wirbel gesorgt. Bürger wehren sich, denken an Selbstjustiz und Bürgerwehren.
Die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst und der Landtagsabgeordnete Dr. André Hahn verstanden das als Hilferuf und hatten am 31. Mai zu einem Bürgerforum in den Gasthof Hertigswalde eingeladen. Was die von Grenzkriminalität Betroffenen dort berichteten, verdeutlichte den Ernst der Situation. Wenn immer wieder ihre Bau- oder Nutzfahrzeuge über die grüne Grenze auf Nimmerwiedersehen verschwinden, fühlen sie sich von der Politik im Stich gelassen. Auch der Sebnitzer Oberbürgermeister Mike Ruckh (CDU) kritisiert diesen Zustand und versucht den Dingen auf den Grund zu gehen, warum das so sein könnte. Er habe das Gefühl, dass die beiden Regionen dies- und jenseits der Grenze zunehmend auseinanderdriften. Die Schere werde immer größer. So gut und wichtig grenzüberschreitende Projekte seien, ihm fehlen Entwicklungsschritte, die eine nachhaltige wirtschaftliche Gesundung auf der tschechischen Seite einleiten. „Das europäische Haus hat zwar ein Dach, aber unten fehlt das Fundament“, sagt er und forderte immer wieder Sicherheit für seine Bürger ein, auch durch eine ausreichende Polizeipräsenz. Es bleibe die erste Aufgabe des Staates, so Ruckh weiter, für Sicherheit zu sorgen. Mit seiner Meinung, das wisse er, ecke er in seiner eigenen Partei sehr stark an. Diese Bemerkung löste bei den Politikern der LINKEN Kritik aus, die bezweifelten, dass Herr Ruckh als Oberbürgermeister sich innerhalb der CDU wirklich nachdrücklich für Korrekturen in der Landespolitik stark gemacht habe.
Die beiden Linke-Politiker/innen Ernst und Hahn machten darauf aufmerksam, dass in den kommenden 10 Jahren weitere 2400 Stellen bei Sachsens Polizei abgebaut werden sollen, wenn es nach CDU und FDP geht. „Das ist nicht hinnehmbar“, so Hahn, der selbst schon einmal im Winter bei Minusgraden nach einem Auto-Einbruch zwei Stunden auf die Polizei warten musste. Für völlig daneben hält er die Idee von CDU und FDP, Kommunen sollen mit Firmen der Sicherheitswirtschaft enger zusammenarbeiten. Das würde bedeuten, dass Herr Ruckh private Security anheuern müsste, um das Eigentum der Sebnitzer zu schützen. Das greife in die hoheitlichen Aufgaben der Polizei ein und nehme den Staat aus der Pflicht, für Sicherheit zu sorgen, verurteilte Dr. Hahn diese Idee.
Der Dresdner Kripochef Thomas Uslaub versucht seit längerem, mit 460 Mitarbeitern dafür zu sorgen, dass sich die Bürger sicher fühlen. Als in Sebnitz noch eine Bereitschaftspolizei-Hundertschaft stationiert war, hätte das für Sicherheit gesorgt. „Heute spricht sich in einem Ort wie Sebnitz schnell herum und jeder fühlt sich betroffen, wenn etwas passiert“. Die Grenze verhalte sich wie eine Membran. Der Täter, der es schaffe, etwas über die Grenze zu bringen, sei dahinter weitgehend in Sicherheit. Ihm drohe kaum Entdeckung. Es gebe real existierende Strafverfolgungshindernisse und eine Justiz, die hinterherhinke. Zugleich verbreitet er Hoffnung: Eine deutsch-tschechische Fahndungsgruppe soll es schon bald geben, mit gemeinsamer Fahndung, Datenabfrage und Kontrolle. Bei schweren Straftaten klappe das schon gut – „aber das hilft ihnen wenig“, so Uslaub zu den eher von so genannter Kleinkriminalität Betroffenen.
Habgier, Neid, Langeweile, Gewohnheit, oder Rachsucht sind laut Thomas Uslaub die Ursachen für die allermeisten Diebstähle. Selten hingegen sei es Existenznot. Trotzdem, so Dr. André Hahn, verstärke die unzureichende Wirtschaftsentwicklung im Nachbarland die Neigung, sich anderwos etwas zu holen. Die tschechische Regierung müsste auch ein eigenes Interesse daran haben, EU-Zuschüsse nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch in der problematischen Region Schluckenauer Zipfel einzusetzen. „Es sind letztendlich unser aller Gelder“, so André Hahn.
Auch Dr. Cornelia Ernst ist der Meinung, dass in der Region eine sehr gute EU-Förderung möglich ist. „Wir sollten darüber nachdenken, uns als eine Euroregion gegenseitig zu fördern“.
Mit besseren Beziehungen zum Nachbarn wäre ihnen auch der Diebstahl erspart geblieben, ist sich Frau Fritsche sicher. „Wir hätten den Dieb gekriegt, wenn wir hätten anrufen können, guckt mal bitte…“. Genau das gehe momentan nicht. „Wenn wir eines Tages bei den Kollegen in Usti anrufen, bei uns wurde ein Auto geklaut“ – sind wir am Ziel, so Uslaub. Offen blieb, warum das bislang noch immer nicht funktioniert.
Ein Gast aus Tschechien schilderte seine Sicht auf die Grenzkriminalität. „Nordböhmen ist nicht Tschechien“, erinnerte er an die komplizierte Geschichte der Region nach dem 2. Weltkrieg. Es schilderte besondere Umstände, warum Rauschgiftgeschäfte vor allem mit Crystal zu einem Riesen-Problem geworden sind.
Immer wieder hörte man beim Bürgerforum heraus, dass die Sebnitzer an gutnachbarlichen Beziehungen interessiert sind und keineswegs pauschal Groll auf ihre Nachbarn hegen. Ein Zeichen dafür war der Beifall, den der ehemalige Lehrer am deutsch-tschechischen Gymnasium in Pirna Ernst Fink erhielt. Er brach eine Lanze für enge persönliche Beziehungen zu unserem tschechischen Nachbarn, die eine Bereicherung für alle seien.
Dr. André Hahn forderte, den weiteren Abbau von Polizeistellen sofort zu stoppen. Die Kooperation mit Polizeibehörden Deutschlands und Tschechiens müsse auf durch bilaterale Verträge ausgebaut und effektiviert werden. Die Sprachbarrieren sollen durch intensive Sprachausbildung und wechselseitigen Austausch von Personal überwunden werden. „Sie haben einen Anspruch darauf, dass hier wirklich etwas passiert“, sagte er den Sebnitzern.
„Sie haben schon einmal eine Petition gemacht, setzen Sie eine neue auf!“ , forderte Dr. Cornelia Ernst auf, „denn Ihr berechtigtes Anliegen wird nur dann Erfolg haben, wenn die Stellenabbau-Pläne der Staatsregierung endlich zurückgenommen werden.“
Anja Oehm