Im Westen nichts Neues – der Kalte Krieg unter „Freunden“
Als im Jahre 2001 Gerhard Schmid, Berichterstatter des nicht ständigen EU-Untersuchungsausschusses zum Echelon-Ausspähskandal den Ausschussbericht auf den Tisch legte, stellte er klar:“ Zwischen EU-Staaten wäre ein solches Verhalten (sich gegenseitig auszuspionieren C.E.) nicht vereinbar mit EU-Recht, weil es eine Art verbotene Staatsbeihilfe ist.
Im internationalen Bereich ist das mehr als ein unfreundlicher Akt, zwischen Verbündeten ist es ein Skandal.“ Der damalige EU-Untersuchungsausschuss war zwar mit nur halb so vielen Rechten ausgestattet, als wir es vom bundesrepublikanischen Kontext kennen, doch wurde damals das Ausspähsystem klar identifiziert. Das Ausspähsystem mit dem Code-Namen Echelon arbeitete bereits global, als Verbund der UK-US-Staaten. Staaten, die im heutigen Ranking von der National Security Agency (NSA) als die befreundeten Staaten ausgewiesen werden. Echelon spionierte in Lateinamerika, Afrika, im arabischen Raum, weniger, aber auch in Europa. Immerhin gaben damals US-Geheimdienste zu, dass sie bei Großaufträgen mit europäischen Firmen, abgehört haben. Die Eu-Station für die Spionage war Bad Aibling in Bayern, die 2004 aufgelöst wurde. Schon damals war klar, das es den Deal zwischen den US- und europäischen (über GB hinaus) Geheimdiensten gab. Das Auffliegen von Echelon aber hat das System von Ausspähungen seitens der UK-US-Staaten nicht außer Kraft gesetzt.
Unter dem Eindruck von 9/11 wurde die NSA mächtiger und kreierte das Programm „PRISM“. Sie taten das mit dem britischen Geheimdienst und dem Programm TAMPORA. Dass die Briten auf europäische Abkommen, denen sie selbst beigetreten waren, ihr Wertes Häufchen machten, wundert nicht.
Ein Rückblick auf das Treiben der NSA beweist, mit wem wir es zu tun haben. 1949 unter dem Eindruck des Kalten Krieges wurde die Armed Forces Security Agency gegründet, 1952 entstand unter Eisenhower daraus die NSA. Die NSA war von Anfang an Einpeitscher des Kalten Krieges und hat in allen Kriegen der USA mitgemischt. 1960 wurde in der Sowjetunion ein illegales Spionageflugzeug,Typ Lockheed-U-2, abgeschossen. Der Pilot überlebte und lieferte Chruschtschow militärische Geheiminformationen, was den Kalten Krieg zwischen beiden Ländern verschärfte. Als in Nordkorea ein US-Spionageflugzeug, das unerlaubt den Luftraum beflog, abgeschossen wurde, diente dies später als einer der Gründe für den Kriegseintritt der USA. Einer Fehlinformation der NSA war zu „verdanken“, dass die USA sich provoziert fühlten und 1965 in den Vietnamkrieg eingriffen. Das südafrikanische Apartheidregime wurde zur innerstaatlichen „Terrorbekämpfung“ mit Abhörtechnik beliefert. Der später von den USA gestürzte irakische Diktator Saddam Hussein, erhielt im ersten Golfkrieg gegen den Iran exklusive Geheiminformationen. Merkwürdigerweise konnte die NSA wirkliche Desaster, wie 9/11, nicht verhindern.
Bis dato wurde das Spionagesystem der NSA fieberhaft erweitert. In Utah wurde mit 2 Mrd. Euro ein Data-Center aufgebaut, die gesamte NSA kostet jährlich bis zu 6 Mrd. Dollar, ca. 30.000 Menschen sind beschäftigt. Im Unterschied zu Echelon zeigen die Informationen von Snowdon, dass im Focus des US-Interesses Europa steht. Wenn alle Telefongespräche und E-Mails abgeschöpft werden können, entstehen riesige Datensysteme, die Kategorisierungen von Daten vornehmen und jede Privatsphäre ausforschen, Profile von Menschen geheim erstellen, bis hin zum Identitätsklau.
Damit wird jeder Ansatz von personenbezogenem Datenschutz, von Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, des Postgeheimnisses, des Rechtes auf Rechtsbehelf, über den Haufen gefahren. Hinzu kommt, dass Staaten und Regierungen ausgeschnüffelt werden und systematische Wirtschaftsspionage erfolgt. Das ist im Kern Organisierte Kriminalität im Auftrag von Regierungen!
Je mehr Dokumente auftauchen, desto deutlicher wird, dass alles mit allem zusammenhängt. Die US-Geheimdienste und die anderer Staaten, wie der Bundesrepublik, arbeiten Hand in Hand lustvoll an Gesetzen und internationalen Abkommen vorbei. Sie sind Staat im Staate geworden und lächeln milde, wenn wir Parlamentarier für zwingende Regelungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten streiten.
Ihre Verselbständigung im Auftrag ihrer Arbeitgeber, sprich der Regierungen zahlreicher Staaten, liegt dank Snowden offen auf dem Tisch. Dazu gehören Informationen über die Ausspähung der EU-Institutionen, ja sogar der Vereinten Nationen. Damit war klar, dass sich die Kommission, wie auch der Rat um die Aufklärung von PRISM nicht drücken können. Die Informationen beweisen den Betrug an den BürgerInnen und offenbaren eine kaum überschaubare Vertrauenskrise zwischen bislang angenommenen Partnern, eine Krise, die an Praktiken des Kalten Krieges erinnert.
Das Zusammenspiel der Regierenden zeigt sich auch, wenn es um die Datenwut der USA geht. Sie übten Druck auf die Eu-Abgeordneten ihrer Staaten aus, z.B. dem EU-USA-SWIFT-Abkommen zuzustimmen, mit dem alle Bankverbindungen europäischer BürgerInnen ausgeschnüffelt und mit anderen, illegal beschafften Daten abgeglichen werden.
Ähnlich war es beim Fluggastdatenabkommen mit den USA. Europaabgeordneten wurde gedroht, sonst nicht mehr aufgestellt zu werden. So fielen einige um. Zum „Dank“ haben die USA ein EU-US-Rahmenabkommen auf Eis gelegt und wollen jetzt ein Freihandelsabkommen mit der EU haben. Wenige Tage nach Veröffentlichung der Snowden- Papiere fanden Debatten im Europaparlament statt. Unter dem Druck links der EVP-Fraktion fand eine Außerordentliche Sitzung des Innenausschusses statt. Vereinbart wurde die Einrichtung eines Untersuchungsgremiums beim Innenausschuss. Ab 5. September sollen die Untersuchungen beginnen. Eingeladen werden sollen US-Behörden, wie die NSA, Vertreter der Kommission und des Rates, IT-Experten, Firmen, die die Daten geliefert haben, Whistleblower, EUROPOL, US-Kongressabgeordnete, Vertreter von Mitgliedsstaaten. Eine niederländische Liberale schlug außerdem vor, Präsident Obama einzuladen, was von der Mehrheit unterstützt wurde. Untersucht werden soll die Erfassung relevanter Informationen über PRISM, die Überwachungsmechanismen und -aktionen der US-Behörden und mitgliedsstaatlicher Behörden, aber auch von Firmen, die die Daten der NSA liefern. Vorgenommen wird eine Bewertung der Überwachungsprogramme, des Ausmaßes der Grundrechtsverletzungen europäischer BürgerInnen. Überprüft wird die Sicherheit der EU vor solchen Ausspähprogrammen. Im Focus steht die Beurteilung der Verhältnis-. und Angemessenheit von PRISM. Auf den Prüfstand kommt auch das Safe Harbor Abkommen, mit dem sich die USA zu freiwilligen Datenschutzregeln verpflichtet hat. Eine Forderung der Europaparlamentarier ist, das SWIFT-Abkommen und das Fluggastdatenabkommen mit den USA rückgängig zu machen, wenn es keinerlei Konsequenzen gibt. Es sollen Empfehlungen erarbeitet werden für Rechtssetzung und Politik, dazu gehört auch, das neue Datenschutzpaket der EU zu verhandeln. Die BürgerInnen in Europa verlangen Aufklärung. Denn wenn Regierungen ganz selbstverständlich Gesetze brechen, Auftraggeber von Organisierter Kriminalität sind und ihre eigenen BürgerInnen ausschnüffeln, dann wird der Staat zum Straftäter. So wird die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates ausgehebelt und der Mensch zum Verdachtsobjekt qua Existenz. Wer da von Demokratie redet, hat den Boden des Rechtsstaates längst verlassen.
Cornelia Ernst, MdEP, erschienen in: Links! September 2013