Situation von Geflüchteten in Griechenland
Bericht von einer Reise des Innenausschuss des Europäischen Parlaments nach Griechenland (Athen und sogenannte „Hotspots“)
Vom 2. bis 4. November reiste ich mit einer Delegation von 7 Europaabgeordneten des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments nach Griechenland. Ziel der Reise war es, sich direkt vor Ort ein Bild von der Lage von Migrant:innen und Geflüchteten machen.
Vor Ort in Athen angekommen trafen wir uns am Dienstagmorgen mit Vertreter:innen der Europäischen Kommission, Frontex und Europol, aber auch des griechischen Ombudsmann. Kommission, Frontex u.a. EU-Agenturen wollten uns (wie immer) weiß machen, dass in Griechenland EU-Recht eingehalten wird, Rechtsmittel garantiert seien und es Verbesserungen gäbe. Hinsichtlich Pushbacks, auch wie immer, geschlossenes „Nichtwissen“. Niemand wusste etwas, ein Termin, den man sich hätte sparen können.
Danach sprachen wir mit Interessenvertrer:innen der Flüchtlingshilfe, so u.a. des Greek Forum of Refugees, des Border Violence Monitoring Network sowie des Mazi Housing Project und von Forge for Humanity, Solidarity Now und Lighthouse Relief. Sie schilderten uns eindringlich den menschenunwürdigen Umgang mit den Geflüchteten und berichteten von illegalen Pushbacks. Ca. 20.000 Pushbacks seien seit 2020 „offiziell dokumentiert“ worden. Praktisch finden jeden Tag Pushbacks statt. Diese sind völkerrechtswidrig, weil damit das individuelle Recht einer/s jeden Geflüchteten, einen Asylantrag stellen zu dürfen und geprüft zu erhalten, außer Kraft gesetzt wird. Damit wird gegen das Non-Refoulement verstoßen. Die EU ist der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten, die bei jedem einzelnen Pushback“ über den Haufen gefahren“ wird.
Die Lage in den Camps hat sich seit 2 Jahren drastisch geändert. Nach der Übergabe der Camps vom UNHCR in die Hände der griechischen Regierung wurden alle Standards heruntergefahren. Seit Monaten erhalten Geflüchtete kein Geld mehr. Die Ernährung wurde auf eine Mahlzeit pro Tag reduziert. Es gibt keine ärztliche Versorgung, die diesen Namen verdient. Kinder gehen fast nie zur Schule, Frauen werden nicht gesondert geschützt. Die sanitären Anlagen sind desaströs. Rechtliche Betreuung ist kaum möglich.
Und so werden ping-pong-gleich Geflüchtete zwischen Griechenland und Türkei hin- und hergeschoben. Seit März 2020 verweigert sich die Türkei, Geflüchtete aus Griechenland wieder aufzunehmen. Damit hält die Türkei den von der EU schwer bezahlten EU-Türkei-Deal selbst nicht ein.
Im Juni 2021 hat Griechenland als zweites EU-Land die Türkei trotzdem als „sicheres Drittland“ anerkannt, was für Abschiebungen in die Türkei eine Voraussetzung ist. So passiert folgendes Paradoxum: Griechenland pushbacked weiterhin unentwegt Menschen Richtung Türkei. Und die Türkei schiebt dieselben Menschen wieder zurück. Das ist nicht nur inhuman, sondern verletzt sämtliche EU-Standards und internationalen Rechtsgüter. Die Kommission sieht hier tatenlos zu und tut nichts. Eine Organisation fasste die Lage treffend zusammen: „ Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit mehr.“
Danach fuhren wir nach Petrou Ralli. Dort befindet sich eine Abschiebehafteinrichtung. Wer dort nach mehreren Pushbacks oder auch nach Delikten angelangt ist, wird systematisch kaputt gemacht. Die Menschen hocken in Zellen, sie haben keine Privatsphäre. Viele sind krank und/oder psychisch labil. Daran ändert auch nichts, dass diese Einrichtung „herausgeputzt“ wurde. Davon haben die „Insassen“ am wenigsten. Was uns in Gesprächen mit Verantwortlichen immer wieder begegnete, ist ein fehlendes Bewusstsein dafür, dass die von ihnen selbst geschaffenen Verhältnisse illegal und inhuman sind. Hilfsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass mit der neuen griechischen Regierung der Ton gegenüber Migrant:innen anders geworden ist. Diese werden kriminalisiert, dass sie kriminell seien ist zum „normalen Teil des Gesamtbewußtseins“ geworden. Wer dies anders sieht, bekommt Schwierigkeiten. Hilfsorganisationen werden bedroht und kriminalisiert.
Am frühen Abend besuchten wir in Malakasa eine Einrichtung für unbegleitete Minderjährige. Diese war auch bis an ihre Grenzen belegt. Irene Agapidaki, die Sondersekretärin zum Schutz unbegleiteter Minderjähriger der griechischen Regierung forderte, dass andere Mitgliedstaaten in der Pflicht seien, Minderjährige aufzunehmen. Ansonsten findet man dort auch die üblichen Probleme. Hinzu kommt der Versuch, das Alter der Kinder mit Methoden festzustellen, deren Unwirksamkeit schon seit langem erwiesen sind.
Es folgte noch ein Gespräch mit dem griechischen Ombudsmann Andreas Pottakis sowie Rechtsanwälten, die Geflüchtete vertreten (u.a. von Greek Council For Refugees, FENIX Humanitarian Legal Aid und Safe Passage UK) an. Der Ombudsmann sprach uns gegenüber eine klare Sprache. Er verwies auf die miserablen Bedingungen in den Camps, fehlende Rechtsmittel für Geflüchtete, die vertrackte Situation Geflüchteter in Bezug auf Pushbacks in die Türkei zurück sowie hinsichtlich der Situation anerkannter Geflüchteter, denen nach einer kurzen Übergangszeit jede soziale und monetäre Leistung entzogen wird. Zusammenfassen kann ich das so schreiben: Als Flüchtling in Griechenland offiziell anerkannt zu werden, ist die „Höchststrafe“, die ein Geflüchteter bekommen kann. Deshalb verlangte der Ombudsmann Andreas Pottakis vom Europarlament, stärker aktiv zu werden.
Am frühen Morgen des Mittwoches ging es dann auf die Insel Samos, die durch Meerenge von Mykali nur 1,6 Kilometer von der Türkei entfernt ist. Nach unserer Ankunft hatten wir ein Treffen mit verschiedenen NGOs. Nben zahlreichen Informationen über die dramatische Lage der Geflüchteten auf der Insel, informierte man uns aus einer öffentlich zugängigen Internetplattform darüber, dass sich auf der Insel gerade eine Gruppe von Menschen befindet, die Angst haben, gepushbackt zu werden. Diese war in der Nacht vom 2. zum 3. November angekommen und hätte bei einer Hotline um Hilfe gebeten. Helfer:innen luden die Abgeordneten ein, mit ihnen zu kommen, um sich selbst ein Bild von der Situation zu machen.
Das straffe Programm der Mission ließ es jedoch nicht zu, dass alle direkt dorthin zu fahren. Daher informierte ich die Ausschussmitglieder, dass ich an diesen Ort mitfahren würde, eine persönliche Entscheidung. Ich teilte mit, dass ich die Delegation über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten würde, was ich danach auch tat.
Ich ging dorthin und traf dort auch sechs Polizeibeamte. Unter ihnen waren zwei, die keine Polizeiuniform trugen und, wie ich aus der Ferne sehen konnte, teilweise maskiert waren: „Menschenjäger“. Unter Rufen, dass wir keine Polizei seien, Ärzte vor Ort haben und vom Europaparlament kommen, gaben sich uns fünf Geflüchtete zu erkennen. Die fünf Angekommenen sahen verängstigt aus. Wir erklärten ihnen, dass sie jetzt erst zumindest in Sicherheit sind und im Lager unter COVID-19-Quarantäne kommen. Das ist aber keinerlei Schutz vor späterer Abschiebung.
Wir brachten sie in unserer Obhut zur Polizei, die uns nach Personalkontrolle zusicherte, dass die Migrant:innen in das Camp auf Samos (Multi-Purpose Reception & Identification Centre) gebracht werden, in das ich als Abgeordnete wenige Minuten später auch fahren würde. Ihre Ankunft dort prüften wir nach. Die anderen 20 konnten wir aber nicht auffinden. Es ist davon auszugehen, dass diese bereits abgefangen und in Richtung Türkei verschafft wurden. Zu diesen Menschen gehörten nach Aussagen der fünf Geflüchteten auch Frauen und drei Kinder, die sie nach der Landung aus den Augen verloren hatten.
Danach begab ich mich unverzüglich in das Multi-Purpose Reception & Identification Centre auf Samos. Das ist ein sogenanntes Vorzeigezentrum, das dem von der Kommission vorgeschlagenen Asyl- und Migrationspakt entsprechen soll. Nur ein Teil fungiert als Erstaufnahmelager. Der größte Teil basiert vor allem auf Internierung und Schnellverfahren, in denen die Geflüchteten kaum eine Chance haben, Rechtsmittel einzulegen. Neu gebaute Container hinter großem Stacheldrahtzäunen, nicht nur ein Zaun, sondern gleich zwei Zäune, zwischen denen 5 bis 8 Meter liegen, umgrenzen das gesamt Camp. Die höchsten Stacheldrahtzäune sind etwa 10 Meter hoch, sie sollen die von Abschiebung betroffene Geflüchteten von einer Flucht aus dem Camp abhalten.
Wir waren in einem nagelneuen Gefängnis für Geflüchtete, so, wie es sich die Kommission vorstellt und Griechenlands Rechte mit Lustfaktor umsetzt. Was wir hier sahen hat nichts mit ernstzunehmender Prüfung von Asylanträgen zutun. Geflüchtete werden von A nach B verschickt, um sie schließlich abzuschieben. Fünf solcher Zentren sollen auf griechischen Inseln errichtet werden.
Am Donnerstagvormittag besuchten wird das Operationszentrum der griechischen Küstenwache in Athen. Die Debatte mit den Beamten war denkwürdig. Es wurde von Krieg gesprochen, in dem man sich befände, sie zeigten uns Videos, auf denen sich griechische und türkische Schiffe gegenseitig bedrohten, um möglichst keine Migrant:innen retten und aufnehmen zu müssen. Uns wurde als Europarlament vorgeworfen, NGOs zu „decken“, deren „kriminellen Machenschaften zu verteidigen“. Wir würden die griechischen Interessen nicht achten, Migrant:innen würden ohne Grund kommen… Eine einzige Anklage, die lediglich von mir und meinem grünen Kollegen zurückgewiesen wurde.
In der Leitstelle der Küstenwache trafen wir den griechischen Migrationsminister Minister Notis Mitarachi. Er stellte uns seine Sicht der Dinge dar, die in jedem Punkt unserem widersprach. Mit Drohungen gegenüber NGOs und auch uns gegenüber zeigte er deutlich, was in den letzten Jahren in Griechenland geschehen war. Er leugnete, im Übrigen auch gegenüber der Presse, dass es Pushbacks gäbe. Zugleich drohte er mit Maßnahmen gegen NGOs. Was Rechtspopulismus in der Regierung bedeutet, konnte ich bei diesem Minister erleben: offene Feindseligkeit gegenüber jeder liberalen Position, statt dessen blinder Nationalismus.
Den traurigen Höhepunkt erlebten wir in Elaionas, einem Camps, in dem uns die Bewohner:innen mit Protesten empfingen. Sie hatten gerade erfahren, dass ihr Camp geschlossen werden soll. Zweifellos war auch dieses Camp nicht in einem sonderlich guten Zustand. Es liegt aber nahe dem Stadtzentrum von Athen. Es gab dort etwas zu essen und einigermaßen ordentliche Unterkünfte. Vor uns standen weinende Frauen, die Angst hatten, auf der Straße zu landen. Ein Schicksal, dass viele, auch anerkannte Geflüchtete, teilen.
Wir begegneten dem, was man im wörtlichen Sinnen menschliches Elend bezeichnet. Viele berichteten aufgebracht, wie schlecht es ihnen geht, dass sie hungern. Einige von ihnen hätten mehrere Selbstmordversuche hinter sich, viele seien krank und mental völlig kaputt, zudem ohne ärztliche Versorgung. Vor uns waren Menschen im Rollstuhl, schwer an Diabetis Erkrankte, Schwangere, Kinder….. Die Jahre der Entwürdigungen, ihre Abweisung in nahezu allen Behörden und Ämtern, ihre Bedrohung im öffentlichen Raum durch Rechtsradikale hat so mache/n von ihnen zerbrochen.
Wir im EP müssen diese katastrophale Lage thematisieren, Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland anstrengen, die Rechtslage der Geflüchteten, besonders auch der anerkannten, die gar keine Chance auf Integration haben, anprangern. Es gilt die NGOs zu verteidigen, Hilfsorganisationen und Aktivist:innen zu schützen und Menschenjägern den Kampf anzusagen. Wir dürfen nicht aufgeben, sonst gibt es niemanden mehr….
Dieses Elend muss ein Ende haben. Recht und Gesetz müssen auch an Europas Grenzen wieder gelten und Teil des Selbstverständnisses in jedem einzelnen Mitgliedstaat werden. Wir müssen Nationalismus und Menschenhass mit allem, was wir haben und allem, was wir sind bekämpfen. Einfach nicht aufhören, niemals.
Bilder: Vorzeigeprojekt zur Aufnahme von Flüchtlingen auf Samos