„Gestorben für die Hoffnung“ – Lampedusa Oktober 2014
Als ich im Mai 2011 auf der Insel Lampedusa war, war ich da die erste Europaabgeordnete nach dem „Arabischen Frühling“. Noch im März 2011 hatte Berlusconi verboten, die Erstaufnahmelager in Lampedusa wieder zu eröffnen. Hunderte Flüchtlinge kamen in bitterkalter Nacht am italienischen Ufer an und hatten nichts. Damals waren es Leute aus Lampedusa, die zum Ufer gingen, Wasser und Decken verteilten und Flüchtlingskinder mit nach Hause nahmen, damit diese die kalte Nacht überstehen. 2 Monate später hatte der internationale Druck von NGO´s bewirkt, dass sich die italienischen Behörden um die Ankömmlinge kümmerten. Ich besuchte damals beide Lager und konnte mit Flüchtlingen reden. An dem Wochenende, als ich in Lampedusa war, kamen ca. 1200 Menschen aus ungefähr 10 Ländern Afrikas und Asiens in Booten an. Mit großen Hoffnungen.
Als wir nun vor wenigen Wochen Anfang Oktober 2014 wieder Lampedusa besuchten, fanden wir auf dem Friedhof zahlreiche Gräber von afrikanischen Flüchtlingen, die nach unserem Besuch im Meer gestorben waren. Ein Grab war mit einem Holzkreuz versehen, überschrieben mit „Gestorben für die Hoffnung“. Wir waren als Delegation der Vereinigten Linksfraktion GUENGL in Lampedusa zum Jahrestag der Katastrophe, als damals 366 Menschen vor dem Kaninchenfelsen Lampedusa an einem eiskalten frühen Morgen ertranken. Fischer sammelten die Leichen auf. Die damalige Bürgermeisterin der kleinen Mittelmeerinsel wandte sich an die EU, um Hilfe zu bekommen. Diese Hilfe waren ein paar Tränen von Kommissarin Malmström, die vor den Kindersärgen in Lampedusa gestanden hatte. Die Antworten auf die humanitäre Katastrophe an den EU-Außengrenzen blieben jedoch leeres Gewäsch, ein paar Kröten mehr für die Anrainerstaaten. Dennoch hatten die Italiener nach der Katastrophe eine Such- und Rettungsaktion begonnen unter dem Namen „Mare Nostrum“. Ca. 100.000 Menschen wurden aufgefunden und gerettet, dem gilt mein großer Respekt. „Mare Nostrum“ fischte die Flüchtlinge bis zur libyschen Küstegrenze auf. Dennoch starben seit der Zeit ca. 3000 Menschen im Meer. Trotzdem war „Mare Nostrum“ das bisher Beste, was je Flüchtlingen auf dem Mittelmeer zugutegekommen war. Statt „Mare Nostrum“ unter Einbeziehung aller Mitgliedsstaaten aufzustocken, wird „Mare Nostrum“ nun aber eingestellt. Stattdessen erfolgt ein neuer Frontexeinsatz im Mittelmeer, der allerdings das Suchen und Retten von Flüchtlingen nicht zum ersten Ziel hat, sondern der Abwehr vom „illegalen“ Migranten dienen soll. Die Italiener werden eine abgespeckte Variante zum Suchen und Retten im Umfeld ihrer Küstengewässer vornehmen. In Konsequenz heißt das, dass wieder mehr Menschen auf hoher See sterben werden. In diesem Umfeld verliefen die Diskussionen in Lampedusa im Oktober 2014. Alljährlich tragen Flüchtlingsorganisationen das „Sabir Festival“ auf Lampedusa aus. Sabir – das ist eine Seemannssprache der Menschen der Mittelmeerstaaten, gespeist aus den verschiedenen Sprachen der Mittelmeerländer. Hunderte Vertreter/innen europäischer Flüchtlingsorganisationen waren da, besuchten sizilianische Asylunterkünfte, sprachen mit Flüchtlingen und wir waren dabei. Zeitgleich traf sich das Establishment um den EP-Präsidenten Martin Schulz, der auf dem Flughafen Lampedusa eine schnelle Rede hielt, sich auf ein Schiff begab, um medienwirksame Fotos vor dem Kaninchenfelsen schießen zu lassen. Wir waren als Europaabgeordnete aus der Gedenkveranstaltung übrigens ausgeladen worden. Wir beteiligten uns an einer Gegendemonstration mit zahlreichen Flüchtlingen in Lampedusa, die sich für eine humane Asylpolitik und gegen die Instrumentalisierung der Gedenkfeier aussprach. Was sich bei mir am meisten verwurzelt hat war eine Gesprächsrunde mit Angehörigen von vermissten Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern. Die italienische Regierung weigert sich beharrlich, Auskunft zu geben über Flüchtlinge, die in Italien nachweislich angekommen. Eltern sprachen davon, dass ihnen jede Information verweigert wird. Wir wollen nun Druck machen über das Europaparlament, damit Informationen über Angehörige weitergegeben werden.
Was sich an den Grenzen zur EU abspielt, ist teilweise unfassbar. Nicht nur der Blick auf Italien genügt, schlimmste Menschenrechtsverletzungen erfolgen in Griechenland, wo Beispiele von Folter an die Öffentlichkeit kamen, Malta, wo die Küstenwache die Rettung von Flüchtlingen verweigerte. Ein jüngstes Beispiel betrifft die marokkanisch-spanische Grenze, wo die spanischen Grenzpolizei einen Flüchtling bewusstlos geprügelt und in diesem Zustand durch den Grenzzaun nach Marokko zurück geworfen hat. Ob dieser Flüchtling noch lebt, ließ sich auf den Video, das im Internet verbreitet wurde, nicht erkennen.
Der skandalöse Umgang der EU und der Mitgliedsstaaten mit der größten Flüchtlingswelle seit Beendigung des 2. Weltkrieges ist mit nichts zu rechtfertigen. Wenn in diesen Tagen im Zuge der italienischen Ratspräsidentschaft statt Rettungsmaßnahmen eine millionenschwere großangelegte Polizeiaktion in 25 Mitgliedsstaaten durchgeführt wird, um „illegale Migranten“ aufzuspüren, dann muss das unsere schärfste Kritik und unseren Widerstand potenzieren. Nein, eine solche EU wollen wir nicht.
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