Migration und Freizügigkeit der Roma in der EU
Input von Dr. Cornelia Ernst für Panel 3 der Internationalen Romakonferenz am 10.12.2011 in Berlin
In der Europäischen Union haben EU-Bürger und ihre Familienangehörigen das Recht, sich im Hoheitsgebiet der EU frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses Recht auf Freizügigkeit ist nach einer Umfrage aus dem Jahr 2009 von Eurobarometer auch wichtig für viele Menschen in der EU. Auf die Frage „Für was steht die EU?“ antworteten 42% aller Befragten „die Freiheit, überall in der EU zu reisen, zu studieren und zu arbeiten.“
Dieses Recht ist in Artikel 18 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verankert, und wird durch eine Richtlinie, die sogenannten Freizügigkeitsrichtlinie umgesetzt.
Und das Recht auf Freizügigkeit gilt natürlich auch für Roma. Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allen Dingen Armut und Rassismus die Hauptgründe sind, die Roma dazu veranlassen, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Und natürlich verbindet sich damit die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Arbeit und einen besseren Lebensstandard.
Jedoch erleben auch hier Roma Ausgrenzung und Diskriminierung. So kann es dazu kommen, dass Bestechungsgelder von korrupten Grenzbeamten eingefordert werden, z.B. bei der Ausreise aus den Herkunftsländern und der Wiedereinreise in das Herkunftsland.
In einigen Mitgliedstaaten erfahren Roma ein hohes Maß an Unterstützung bei der Suche nach Arbeit, in anderen Mitgliedstaaten jedoch hat man den Eindruck, die Behörden wollen Roma von der Einreise abhalten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Beschäftigung ist natürlich sehr wichtig und wirkt sich auf die anderen Bereiche des Lebens aus: Wenn Roma sich eine Beschäftigung im formellen Sektor sichern können, dann steht ihnen der Zugang zu weiteren Dienstleistungen offen.
Auch die Anmeldung des Wohnsitzes kann sich schwierig gestalten: so gibt es viele bürokratische Hürden oder die Behörden vor Ort wenden die Freizügigkeitsrichtlinie falsch an. Kommt es hier zu Problemen, so können die Betroffenen bspw. nicht das Wahlrecht vor Ort wahrnehmen.
Roma aus anderen Mitgliedstaaten werden häufig als Verursacher von Problemen wahrgenommen, und sie sind selten willkommen. Einiges deutet darauf hin, dass die Niederlassung in einem anderen Land in der Regel eher zu Verelendung führt als zu neuen Chancen. Roma erfahren vor allen Dingen dann eine kontinuierliche Ausgrenzung, wenn sie keine Beschäftigung im formellen Sektor finden können.
Das Recht auf Freizügigkeit bzw. das verweigerte Recht auf Freizügigkeit geriet im Sommer 2010 in die Schlagzeilen, als die französische Regierung knapp eintausend Roma ausgewiesen hat. Und zwar unter massiver hetzerischer Rhetorik.
Frankreich nimmt wie andere europäische Länder auch, schon seit 2007 sogenannte „humanitäre“ Ausweisungen vor, oft mit einer finanziellen Vergeltung von 300 Euro pro Person und 100 Euro für Minderjährige. Dieses Vorgehen der französischen Behörden verstößt gleich gegen mehrere europäische Rechtsnormen. Und eine Besonderheit lag darin, dass die französische Regierung explizit Roma ins Visier nahm, und sie also aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit auswies. Trotz all diesem hat sich die Europäische Kommission nicht zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich durchringen können. Obwohl hier gezielt gegen eine Minderheit vorgegangen wurde und sich die französische Regierung sogar noch in „Kraftmeierei“ übte und ihr Vorgehen zuerst sogar noch verteidigte.
Das Europäische Parlament hat massiv dagegen protestiert, in seiner Entschließung vom 9. September 2010 betonte das Europäische Parlament, dass kollektive Ausweisungen untersagt sind, und zwar sowohl von der Charta der Grundrechte als auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Maßnahmen der französischen Regierung sind diskriminierend und verletzen die Europäischen Verträge.
Ich freue mich, dass Anais Faure Atger vom Centre for European Policy Studies aus Brüssel heute bei uns ist. Sie hat umfangreiche Forschungstätigkeiten zur Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie durchgeführt, mit besonderem Fokus auf die Gruppe der Roma. Sie hat gearbeitet zu Arbeitsmigration in der Europäischen Union, zu Bildungsfragen, zu politischer Partizipation von Migranten und Minderheiten in der EU. Sie kann uns einen tieferen Einblick in die Materie verschaffen und erklären, wo die Probleme bei dem Recht auf Freizügigkeit in der EU gerade für Roma liegen. Und was die politisch Handelnden tun sollen und müssen, um die Diskriminierung, ob subtil oder nicht subtil, zu bekämpfen. Ich freue mich auf eine spannende Diskussion und einen interessanten Vortrag von Anais Faure Atger.